Der Stand der Dinge
Der europäische Markt für Unternehmensanleihen hat seit den Tiefstständen der Spreads im Februar 2020 erhebliche Verluste hinnehmen müssen. Die Kreditspreads von Nicht-Finanzunternehmen haben sich um mehr als 120 Basispunkte (bps) ausgeweitet, die von Anleihen aus dem Finanzbereich stiegen um fast 170 bps (Grafik 1). Die Lockdown-Maßnahmen als Reaktion auf die Coronavirus-Epidemie haben sich sowohl auf das wirtschaftliche als auch auf das gesellschaftliche Leben ausgewirkt. Ihre Auswirkungen auf den europäischen Unternehmenssektor haben die Anleger verschreckt und einen Ausverkauf ausgelöst. Zusätzlich zu den veränderten wirtschaftlichen Gegebenheiten haben trübe technische Marktdaten die Anleihespreads weiter unter Druck gesetzt, und in den letzten Wochen kam es zu erheblichen Abflüssen. Während strengere regulatorische Anforderungen die Risikobereitschaft der Banken bereits in den vergangenen Jahren reduziert haben, hat die aktuelle Situation, in der Händler von zu Hause aus arbeiten und nur wenig mit anderen Händlern interagieren, auch die Bereitschaft verringert, für Anleihen zu bieten.
Was bedeutet all dies für den gesamten europäischen Markt der Unternehmensanleihen und seine Teilsektoren? Wir wagen nicht zu spekulieren, wann sich die Situation normalisieren könnte und die europäischen Beschäftigten in ihre Fabriken und Büros zurückkehren. Wir wollen auch nicht darüber mutmaßen, wann die Zahl der Infektionen ein Plateau erreichen oder wie hoch die Sterblichkeitsrate sein wird. Im Moment halten wir es für wichtiger, sich auf die bekannten Fakten zu konzentrieren, z. B. darauf, wie die Europäische Zentralbank (EZB) den Markt unterstützt, und auf die Auswirkungen für die Entwicklung der Spreads.
Hier müssen wir zwischen den Käufen von Unternehmensanleihen zur Unterstützung des Nicht-Finanzsektors und der regulatorischen Lockerung zur Unterstützung der Banken unterscheiden. Beginnen wir mit den Nicht-Finanzunternehmen. Mitte März belief sich das Universum der Anleihen von Nicht-Finanzunternehmen auf 1,3 Billionen Euro, wovon 700 Mrd. Euro auf EZB-fähige Unternehmensanleihen (definiert durch iBoxx-Indizes) entfielen. Derzeit besitzt die EZB 141 Mrd. Euro an zulässigen Anleihen (bzw. sogar 200,2 Mrd. Euro, wenn man nicht-iBoxx-Unternehmensanleihen berücksichtigt). Analysten gehen davon aus, dass die Zentralbank bis zum Jahresende weitere 15–30 Mrd. Euro pro Monat kaufen wird. Die EZB hat sich verpflichtet, Anleihen im Wert von 1,2 Billionen Euro aus dem gesamten Spektrum der festverzinslichen Wertpapiere zu kaufen, was sie letztendlich zum Eigentümer eines beträchtlichen Teils des Markts für Unternehmensanleihen machen würde. Zuvor war die EZB durch selbst auferlegte Beschränkungen, d. h. Emittentenlimits, eingeschränkt. Einige dieser Limits wurden jedoch aufgehoben, sodass die EZB nun aggressiver vorgehen kann. Wir erwarten, dass die Zentralbank die Ausgestaltung ihrer verschiedenen Anleihekaufprogramme weiter optimiert, um den Zugang zum Anleihenmarkt zu verbessern und ihre übergeordneten Ziele zu erreichen.
Derzeit verlagert die EZB den Schwerpunkt ihrer Käufe. Die Käufe von Unternehmensanleihen dienen nicht mehr der Unterstützung ihrer Inflationsziele und der Kontrolle der Volatilität, sondern werden zum ultimativen Backstop für europäische Unternehmensanleihen. Durch den Einsatz eines solchen Backstops werden die Maßnahmen der EZB zunehmend die Spreads am Markt antreiben, was bedeutet, dass sich die Spreads mittelfristig höchstwahrscheinlich einengen werden.
In Anbetracht einer solchen Entwicklung plädieren wir nachdrücklich dafür, europäische Unternehmensanleihen zu halten, da die meisten Anleihen, die verkauft werden, letztlich irgendwann bei der EZB landen werden, was sich positiv auf die Anleihenbewertungen auswirken wird. Während die technische Seite ein Argument für eine Long-Position in Nicht-Finanzwerten liefert, beruht unsere positive Sicht auf den Bankensektor auf fundamentalen und regulatorischen Überlegungen.
Banken als Retter in der Not
Im Jahr 2008 spielten die Banken als Verursacher der globalen Finanzkrise eine Rolle. Diesmal könnten sie jedoch das Heilmittel liefern. Sowohl Regierungen als auch Zentralbanken haben massive Hilfsprogramme angekündigt. Der Bankensektor wird eine wichtige Rolle dabei spielen, das Geld zu den Menschen und Unternehmen zu bringen, die es benötigen. Banken erhalten jetzt 75 Basispunkte, wenn sie sich Geld von der EZB leihen und an ihre Kunden verleihen – ein massiver Anreiz zur Kreditvergabe.
Mitte März lockerte die EZB die regulatorischen Beschränkungen für die Banken in der Eurozone und machte damit 120 Mrd. Euro an hartem Eigenkapital frei. Dies wird zu einer zusätzlichen Kreditvergabekapazität von 1,8 Billionen Euro führen. Zu den angekündigten Maßnahmen gehörte auch eine Lockerung der Vorschriften für NPL (notleidende Kredite). Wenn ein Kredit durch eine Staatsgarantie abgesichert ist, müssen die Banken keine Rückstellungen für NPLs vornehmen. Auf der anderen Seite werden die Banken von der Aufsichtsbehörde aufgefordert, bei Dividendenausschüttungen maßvoll zu bleiben und Kapital zu erhalten.
Neben den regulatorischen Änderungen sind die verbesserten Fundamentaldaten ein weiteres Argument, das unsere optimistische Sicht auf Bankanleihen unterstützt. Die Kapitalquoten haben sich ebenso wie die Qualität der Vermögenswerte in den vergangenen zehn Jahren erheblich verbessert – dank eines günstigen wirtschaftlichen Umfelds und eines gesunden Abbaus der NPLs. Aufgrund der regulatorischen und fundamentalen Verbesserungen sind Banken derzeit der letzte Sektor, in dem wir einen Anstieg der Ausfallraten erwarten würden. Innerhalb der verschiedenen Schichten der Bankenkapitalstruktur haben wir nicht-bevorrechtigte vorrangige Anleihen (Senior Non-Preferred-Anleihen) als den attraktivsten Wiedereinstiegspunkt für Investoren identifiziert.
In diesem Beitrag haben wir vor allem die Chancen auf dem europäischen Markt für Unternehmensanleihen angesichts der jüngsten Maßnahmen der EZB diskutiert. Den meisten Lesern ist jedoch bekannt, dass auch andere Zentralbanken Programme zum Ankauf von Unternehmensanleihen aufgelegt haben und dass auch die Regulierungsbehörden weltweit den Banken einen größeren Spielraum einräumen. Im Moment sehen wir Europa allerdings in einer wirklich einzigartigen Position, wenn man das Volumen der Anleihekäufe der EZB im Verhältnis zur Größe des Gesamtmarkts und die relativ uneingeschränkte Natur des Programms betrachtet. Auch andere Zentralbanken wie die US-Notenbank werden Unternehmensanleihen kaufen. Die Fed wird ihre direkten Käufe jedoch ausschließlich auf das kurze Ende der Kurve konzentrieren und sich auf Investment-Grade-Anleihen beschränken (während die EZB Crossover-Credits kaufen kann). Darüber hinaus ist der US-amerikanische Markt für Unternehmensanleihen viel größer als der europäische. Daher erwarten wir, dass die relative Auswirkung der Spread-Einengung in Europa diejenige in den USA übertreffen wird. Wir haben unsere Global-Credit-Strategie entsprechend angepasst. Gleichwohl sollte es zu einer deutlichen Stabilisierung der Anleihebewertungen in allen Märkten kommen, in denen die Zentralbanken durch direkte Käufe von Unternehmensanleihen und durch die Ermutigung der Banken zur Kreditvergabe Unterstützung leisten werden.