Der globale Corona-Ausbruch in der ersten Hälfte des Jahres 2020 hat die Welt auf den Kopf gestellt. Angesichts dieser Umstände stehen Japans Unternehmen vor der Herausforderung, sich an die „neue Normalität“ anzupassen.
Die „neue Normalität“
Mit dem globalen Ausbruch des neuartigen Coronavirus (und der Krankheit COVID-19) in der ersten Hälfte des Jahres 2020 wurde die Welt auf den Kopf gestellt. Die Menschen wurden gezwungen, ihre Lebensweise auf ungeahnte Weise zu ändern. Japan bildet da keine Ausnahme. Die Zahl der bestätigten Fälle innerhalb des Landes ist bisher relativ gut unter Kontrolle. Experten des öffentlichen Gesundheitswesens warnen jedoch vor einem möglichen Anstieg der Zahl neuer Fälle, während sich das Virus weiter global ausbreitet.
Das Paradoxon
Unter diesen Umständen stehen Japans Unternehmen vor neuen Herausforderungen, um sich an diese „neue Normalität“ anzupassen. Allerdings herrschte unter globalen Investoren schon immer der Eindruck vor, dass Japan sich nur langsam verändert. Als Gründe werden u. a. angeführt, dass Japan eine konsensorientierte Gesellschaft mit einzigartigen internen Unternehmenshierarchien ist, die mehr Wert auf das Alter als auf die Verdienste legen. Ein wichtiger Faktor, der vielen dieser Erklärungen zugrunde liegt, scheint die starke Neigung des Landes zur „Unsicherheitsvermeidung“ zu sein (siehe Grafik 1). Laut der Unternehmensberatung Hofstede Insights wird dies historisch gesehen „oft auf die Tatsache zurückgeführt, dass Japan ständig von Naturkatastrophen bedroht ist, von Erdbeben, Tsunamis, Taifunen bis hin zu Vulkanausbrüchen. Unter diesen Umständen haben die Japaner gelernt, sich auf jede unsichere Situation vorzubereiten“.
Grafik 1: Kultur-Kompass
Eine solche „Unsicherheitsvermeidung“ ist in Japan überall anzutreffen. Risikoscheue Verwaltungsbeamte und Unternehmensmanager halten sich an die Optionen mit dem geringsten Risiko, was auf Kosten potenzieller Gewinne geht. In Anbetracht der derzeitigen dramatischen Veränderungen in ihrem Geschäftsumfeld sehen sich die Unternehmensleiter jedoch mit einer Situation konfrontiert, in der die Risiken der Trägheit die Gefahren der Umsetzung von Veränderungen übersteigen. Wir glauben demzufolge, dass die Unternehmen in der Lage sind, den Wandel zu beschleunigen, um sich bestmöglich auf die neue Unsicherheit vorzubereiten. Mit anderen Worten: Genau der Grund, warum Japan als veränderungsscheu wahrgenommen wurde, ist heute ein Faktor, der den Wandel hin zu einer neuen Normalität vorantreiben dürfte.
Digitale Transformation (DX)
Besonders dramatische Veränderungen erwarten wir im Bereich der digitalen Technologie, deren Einsatz in letzter Zeit stark zugenommen hat. In den vergangenen Jahren haben japanische Unternehmen investiert, um ihre Produktivität angesichts des angespannten Arbeitsmarkts zu steigern. Mittlerweile wird jedoch erwartet, dass sie ihre Investitionen in Technologie erhöhen, um ihre Geschäftsmodelle umzugestalten, damit sie mit der neuen Unsicherheit besser umgehen können.
Anfang Juli kündigte Fujitsu als Marktführer im DX-Markt aggressive Pläne zur Transformation des Unternehmens an. Das Unternehmen wird voraussichtlich seine Büroflächen um die Hälfte reduzieren, sodass die Mehrheit seiner 80.000 Mitarbeiter in Japan bis März 2023 von zu Hause aus arbeiten kann. Die eingesparten Kosten wird das Unternehmen wiederum in Technologie und die Verbesserung seiner betrieblichen Abläufe investieren. Gleichzeitig soll eine Änderung des Personalsystems eingeführt werden, um die Leistungsorientierung stärker in den Vordergrund zu stellen. Das Unternehmen will die Erfahrungen aus seiner eigenen Transformation nutzen und den Erfolg auf Kundenunternehmen übertragen.
Andernorts werden Einzelhändler den Ausbau ihrer Vertriebskanäle beschleunigen, indem sie E-Commerce-Plattformen einrichten. Auch KI-gesteuerte Technologien wie Auftragsverwaltungssysteme werden zunehmend eingesetzt. Im Bereich der medizinischen Fernversorgung wird eine Deregulierung erwartet, die Patienten den Zugang zu Online-Arztbesuchen erleichtert. Fernunterricht und der Einsatz digitaler Geräte im öffentlichen Schulsystem werden voraussichtlich ebenfalls zunehmen. Die japanische Regierung erwägt außerdem, Anreize für IT-Investitionen durch steuerrechtliche Anpassungen zu schaffen.
Grafik 2: Geplante Investitionen japanischer Unternehmen im Geschäftsjahr 2020 (im Vergleich zum Vorjahr)
Portfolio-Transformation: Umbau der Geschäftsfelder
Unternehmen stehen zudem vor der Notwendigkeit, Kapital umzudisponieren, um sich coronasicher zu machen. So wie ein Aktienportfoliomanager in Aktien ein- und aussteigen kann, haben Unternehmensmanager die Möglichkeit, das Geschäftsportfolio eines Unternehmens durch den Kauf oder Verkauf von Unternehmen zu optimieren, um den Shareholder Value zu maximieren. Tatsächlich ist die Zahl der M&A - Transaktionen in Japan bis 2019 in drei Jahren hintereinander auf ein Allzeithoch gestiegen, angetrieben durch die von der Regierung durchgeführte Corporate-Governance-Reform. Wir glauben, dass die Portfolio-Transformation für die Manager japanischer Unternehmen im Vordergrund stehen wird. Sie dürfte angesichts der Pandemie noch an Dynamik gewinnen.
Für Unternehmen, die angesichts der Corona-Pandemie mit sinkenden Umsätzen zu kämpfen haben, ist die Veräußerung von Geschäftsbereichen, die nicht zum Kerngeschäft gehören, ein wirksames Mittel, um Werte freizusetzen. Zusätzlich wird Wert geschaffen, wenn die Erlöse aus dem Verkauf für Investitionen in profitablere Segmente umverteilt werden. Unter normalen Umständen kann es schwierig sein, Entscheidungen zur Veräußerung von angestammten Geschäftsbereichen zu treffen, da dies frühere Managemententscheidungen untergraben würde. Die dramatische Veränderung des operativen Umfelds macht es jedoch einfacher, drastische Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise zu ergreifen. Geschäftsveräußerungen sind im ersten Halbjahr 2020 sogar um 64 % ggü. dem Vorjahreszeitraum gestiegen (siehe Grafik 3). Damit haben sie den höchsten Stand seit zehn Jahren erreicht, und wir gehen davon aus, dass die Zahl der Transaktionen weiter zunehmen wird.
Grafik 3: Anzahl der Verkäufe von Geschäftsbereichen in Japan (jeweils Januar-Juni)
Auch die japanische Regierung treibt das Thema voran. Im August veröffentlichte das japanische Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie umfassende Richtlinien für die Restrukturierung von Unternehmen. Diese sollen Unternehmen helfen, die Krise zu meistern, indem sie Fusionen und Übernahmen, einschließlich Abspaltungen, erleichtern.
Der derzeitige gesamtwirtschaftliche Gegenwind bietet auch Chancen für Käufer von Unternehmen. Während sich der Aktienmarkt insgesamt dank der politischen Unterstützung deutlich erholt hat (TOPIX Index 5,5 % von Jahresbeginn bis 24. September), sind die Ergebnisse zwischen Wachstums- und Value-Aktien auseinandergelaufen. Dies bietet Chancen für Unternehmensmanager und Private-Equity-Investoren, Unternehmen zu attraktiven Preisen aufzukaufen. Tatsächlich nehmen die Übernahmeangebote zu (+21,1 % im ersten Halbjahr 2020), da die Unternehmen die Situation ausnutzen. Besonders erwähnenswert ist, dass von den 23 im ersten Halbjahr 2020 angekündigten Übernahmeangeboten sechs börsennotierte Tochtergesellschaften waren, die von ihren Muttergesellschaften übernommen wurden. Die in Japan einzigartigen „Mutter-Kind-Doppelnotierungen“ geraten zunehmend in die Kritik, da sie vor dem Hintergrund der Corporate-Governance-Reform Minderheiteninteressen untergraben.
Darüber hinaus wird berichtet, dass sich Gespräche zwischen Banken und Unternehmen über Management-Buy-outs häufen. Solche Transaktionen fanden in diesem Jahr häufiger statt als im Vorjahr. In Anbetracht des unsicheren Umfelds ermöglicht ein solcher Schritt in die Privatisierung drastische Restrukturierungen, die auf langfristige Wettbewerbsfähigkeit unter der Führung eines privaten Anteilseigners abzielen. Wir glauben, dass sich diese Trends fortsetzen werden.
Die globale Pandemie 2020 wird wahrscheinlich als Weckruf und Katalysator in Erinnerung bleiben, der viele Veränderungen in Unternehmen und der breiteren Gesellschaft auf der ganzen Welt mit sich brachte. Die Veränderungen werden sich zwangsläufig von Land zu Land unterscheiden. Wir sind davon überzeugt, dass Japan eine einzigartige, nicht mit anderen Ländern korrelierte Anlagemöglichkeit bietet, bei der die Maßnahmen der Unternehmen von einem immer stärkeren Krisenbewusstsein getrieben werden, um Unsicherheit zu vermeiden.